Es gab auch schon vor Corona immer mehr „Minimalisten“, die bewusst auf einen Großteil dessen verzichten, was nicht lebensnotwendig ist. Ist das mehr als eine Laune des Marktes?
Es ist eine Laune des Individuums, das ist das Spannende. Schon vor der Coronakrise wurden die überhitzten Konsumstrukturen auch auf individueller Ebene hinterfragt. Und im Lockdown wurden die Leute gefragt, was sie am meisten vermissen. Das waren: ihre Freunde und ihre Nächsten, also der menschliche Austausch. Da haben nur sehr wenige von Konsum gesprochen. In der Umfrage wurde auch gefragt, was sie am meisten überrascht hat. Und da kam raus: wie wenig man eigentlich braucht. Das heißt, unter Umständen sind Bewegungen wie Minimalismus, Achtsamkeit usw. durch die Krise mehrheitstauglich geworden. Der große Unterschied ist, dass wir das jetzt alles persönlich erlebt und mitgemacht haben. So spürt man erst auch die Vorteile.
Seit ein paar Jahren ist vor allem im Nahrungsmittelbereich ein Trend zur Regionalisierung feststellbar. Gemüsemärkte erleben einen regelrechten Boom. Haben Globalisierung und Digitalisierung damit einen Rückwärtsgang eingelegt?
Wir alle fühlten instinktiv: Wenn alles „made in China“ ist, dann kann das für die Umwelt, aber auch für das Gesamtsystem nicht gut sein. Die Regionalität ist ein Gewinner der Coronakrise, weil wir gelernt oder gesehen haben, wie fragil diese globalen Wertschöpfungsketten sind. Das, was wir schon vor Corona im Bereich Ernährung gesehen haben, verschiebt sich jetzt auch auf andere Bereiche. Also insofern sehe ich für das Regionale gute Perspektiven. Aber man darf nicht den Fehler machen zu denken, jetzt vertschüssen wir uns wieder alle zurück in die Nationalstaaten und die Hyperregion. Durch Digitalisierung und durch Mobilität sind regional und global ja längst kein Widerspruch mehr.
Schon vor 45 Jahren hieß diese Form des Wirtschaftens bei Ernst Friedrich Schumacher „Small is beautiful“. Heute sagen Minimalisten „be more with less“. Gibt es für Sie einen Indikator, warum sich das minimalistische Denken heute endlich durchsetzen könnte?
Ich glaube, der tragende Unterschied zur alten Entschleunigungsbewegung vor 40 Jahren war, dass wir damals in einem starken ökonomischen Wachstum waren. Man hatte das Gefühl, wenn man nicht mitmacht und es einem dann vielleicht doch nicht gefällt, dann haben einen die anderen überholt. Dieser Effekt ist jetzt nicht mehr gegeben, weil alle gleichzeitig entschleunigen. Es ist eine kollektive Erfahrung. Man ist kein Außenseiter mehr.
Sehen Sie auch einen Gegentrend dazu? Dass die Menschen etwa aus dem unfreiwilligen Verzicht der vergangenen Monate heraus nun einen ungeahnten Kaufrausch erleben?
Die Shoppingcenter waren schon vor der Coronakrise am Sterben und werden auch jetzt weniger werden. Da bin ich relativ sicher. Trotz des Faktums, dass viele Leute während des Shutdowns online bestellt haben, sind die Amazon-Bestellungen insgesamt nach unten gegangen, weil die Leute dort nur mehr „Necesseties“ kaufen. Dieses Rückbesinnen auf „was brauche ich wirklich“, wird auch dazu führen, dass man das Einkaufserlebnis wieder schätzen lernen wird.