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Was bedeutet uns Geld?

Philosophin und Publizistin Lisz Hirn im Interview

1.46.000.000.000.000 Geldscheine und Münzen waren laut Europäischer Zentralbank per 21. Dezember 2020 im Euro-Währungsraum als Bargeld im Umlauf. Oder anders: Stapelt man 1 Billion Euro in 500er-Scheinen aufeinander, ergibt sich eine Strecke von 200 Kilometer. Ein Haufen Geld, der uns indirekt und in kleineren Mengen direkt umgibt.
Aber: Was bedeutet uns Geld? Ist Reichtum unmoralisch? Wäre die Welt ohne Geld besser? Den Versuch, Antworten darauf zu finden, hat Lisz Hirn, österreichische Philosophin und Publizistin unternommen.

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Fluch oder Segen

Ist Geld für uns Fluch oder Segen, ein Symbol, eine Idee? Befasst sich die Philosophie überhaupt damit oder ist das eher ein Wirtschaftsthema?

Schaut man in die Geschichte der Philosophie, dann spielt Geld in jeder Theorie der Gerechtigkeit, in jedem ethischen Diskurs in Bezug auf die Menschen und ihren Alltag eine entscheidende Rolle. Wobei das Verhältnis der Philosophie zu Geld insgesamt betrachtet, ein sehr wechselhaftes ist. Die einen sagen, Geld sei zu flach für tiefe Gedanken, sollen sich doch die Banker und Wirtschaftswissenschaftler damit befassen. Die anderen sagen, Geld sei eine Kategorie, die sehr viel Geistiges, sehr viel Begriffliches in sich trage, sich also eigentlich gut zum Philosophieren eigne. 

Wie beeinflusst uns Geld? Tut es das überhaupt?

Der Soziologe Georg Simmel hat sich ausführlich mit Geld beschäftigt. Er fand bereits vor 100 Jahren die akademische Geringschätzung des Geldes als kurzsichtig. Er sieht Geld nicht als oberflächlich oder geistlos an, sondern im Gegenteil. Geld ist für ihn ein Zeichen eines außerordentlichen geistigen Vorganges. Es wurde von Menschen entwickelt, es macht Dinge messbar und es hat Einfluss auf unsere Bewertung. Es verleitet uns dazu, Sachen teilweise zu über- und teilweise zu unterschätzen. Ein Beispiel aus dem Alltag: Wenn ich ein besonders teures Produkt sehe, beeinflusst das meine Einschätzung. Mit Geldwert sind auch immer Prestige und Ansehen verbunden. Dieser Vorgang macht viele sehr arm und manche sehr reich. 

 

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Der Mensch und das Geld

Wie beeinflusst Wissen unser Verhältnis zu Geld? Geht mit Geld auch eine moralische Verpflichtung einher? 

Zu dem Thema hat sich Seneca, der selbst im Dienst beim römischen Kaiser Nero stand, in Schriften auseinandergesetzt. Am Ende eines längeren Zitates schreibt Seneca: „Beim reichen Weisen spielt der Reichtum eine dienende und beim reichen Toren eine herrschende Rolle.“ Er schildert den Unterschied noch dramatischer, indem sich der Narr von seinem Reichtum blenden lässt, sich daran gewöhnt, im schlimmsten Fall bequem wird und von drohenden Szenarien überrascht wird. Der reiche Weise hingegen erkennt nicht nur die Relativität des Geldes, des Reichtums an sich und natürlich auch, dass er all das ständig verlieren könnte. Er sieht, dass damit auch eine moralische und eine ethische Verantwortung einhergehen. Denn Reichtum ist wie ein Gast, der kommt und geht. Damit er Niemanden zur Last fällt, sollte er verteilt werden und zwar an Menschen, die moralisch integer sind oder von denen man glaubt, sie damit in einen moralisch integren Menschen verwandeln zu können.

Das heißt aber auch, es gibt seit jeher eine starke Bindung zwischen Menschen und Geld. Sind wir mit Geld glücklicher?

Wir glauben an das Geld, deswegen funktioniert es ja, deshalb bedeuten Münzen, Scheine, Bitcoins ja etwas. Wir haben es gelernt oder übernommen, dass wir universell daran glauben. Daher kommen ja auch die Wörter Kredit oder Gläubiger. Beispiele von sehr reichen, nicht unbedingt glücklichen oder sinnerfüllten Menschen zeigen, dass es aber auch etwas anderes gibt. Natürlich behaupte ich im Umkehrschluss nicht, dass Armut glücklich und zufrieden macht. Ganz im Gegenteil. Geld kann uns ein Mindestmaß an Freiheiten ermöglichen, wenn wir es richtig und vernünftig einsetzen. Voraussetzung ist natürlich, dass wir welches haben.

Das kollektive Gut

Wie würde eine Welt ohne Geld aussehen? Wäre sie besser, schlechter? 

Nicht die Welt wird besser oder schlechter, sondern höchstens wir Menschen verändern uns und unsere Beziehungen zur Welt durch Geld. Es hat zur Befreiung des Individuums geführt, so der Soziologe Georg Simmel. Es gibt uns allen die Freiheit, zwischen Waren und Werten zu entscheiden. Geld dient uns nicht nur zum Tauschen oder als Zahlungsmittel, sondern auch als Wertanlage. Geld ist ziemlich multifunktional. Die Schattenseite ist, es muss eine Leere ausfüllen, die durch den Verlust persönlicher und religiöser Bindungen entstanden ist. Aus dem einstigen Geld zum Leben, also genug Geld zum Leben haben, ist selbst ein Lebenszweck, ein Streben nach immer mehr Geld geworden. Dieser Lebenszweck wird niemals vollkommen von Geld befriedigt werden können, da Geld unsere Sehnsucht nach Sinn nur kompensieren, aber ihr niemals gerecht werden kann.

Was ist aber, wenn sich durch die Art der Wertanlage, wie zum Beispiel Investitionen in nachhaltige Projekte, etwa regionale Photovoltaikanlagen ein höherer Sinn für mich verwirklichen lässt? Kann so Geld der Sehnsucht nach dem Sinn nicht doch gerecht werden?

Ja, weil in diesem Fall Geld als Mittel zu einem höheren Zweck dient, um etwas kollektives Gutes zu verwirklichen, und nicht als Zweck an sich dient. Nehmen wir das Beispiel der Photovoltaikprojekte in der Region. Hier könnte jeder einen Beitrag in seiner unmittelbaren Nähe zum Klimaschutz leisten und zugleich sein Geld regional einsetzen. Das kollektive Gute und das eigene „gute“ Leben könnten durch solche Projekte verbunden werden. www.liszhirn.at